Eine der größten Industriebrachen in Köln und gleichzeitig ein letztes einzigartiges Filetstück für städtische Entwicklungen ist das Gelände der ehemaligen Deutz-Motoren-AG, das Otto & Langen-Quartier. Hier errichtete Nicolaus August Otto (1832 –1891), der Erfinder des Viertakt-Verbrennungsmotors, die erste neuerbaute Motorenfabrik der Welt. Von hier nahm die globale Motorisierung ihren Ausgang.
Das Areal – die Gießerei und die Hauptverwaltung der Deutz-AG – umfasst etwa 6,6 ha. Die heute noch stehenden Bauten stammen aus der Zeit ab 1883. Der Verwaltungsbau von 1880 ist das älteste erhaltene Gebäude. Um die wirtschaftlich ins Trudeln geratene KHD zu stützen, kaufte das Land NRW 1996 einen Teil des Geländes. Der Fabrikbetrieb wurde noch bis Anfang des 21. Jahrhunderts fortgeführt. 2006 verlegte das Management seinen Sitz nach Köln-Porz.
Einer Initiative Walter Busch- manns, Experte für Technikdenk- mäler beim Landeskonservator, ist es zu verdanken, dass ein Teil des für Wohnungen geplanten Areals als Industriedenkmal erhalten bleibt. Außer der von dem Jugendstil-Architekten Bruno Möhring entworfenen Halle sollen vor allem der Mittelmotorenbau bestehen bleiben, ein Teilstück der 150 m langen Gießereihallen und natürlich das Verwaltungsgebäude. Die geplanten Wohnungen müssten dann höher als ursprünglich beabsichtigt gebaut werden. Neben etwa 400 Wohnungen für das Otto & Langen-Quartier sollen in dem neuen urbanen Stadtviertel Gewerbeansiedlungen entstehen, neue Straßen und Plätze, Schulen und Kindergärten. Ein Drittel der Wohnungen ist für den sozialen Wohnungsbau reserviert.
Seit 2011 kümmert sich die Künstlergruppe „raum 13“ um das Gelände und die Industriebauten. Ihr vorrangiges Ziel ist, künftigen Generationen einen Einblick zu vermitteln, wie Menschen früher an diesem Ort gelebt und gearbeitet haben. Die ehemaligen Räume der Direktion im Verwaltungsbau sind teilweise mit der Inneneinrichtung erhalten. Das Mobiliar ist wuchtig, aber relativ schlicht. Viele alte Ordner mit Personallisten und Gehaltsabrechnungen erlauben einen Einblick in die damalige Arbeitswelt.
Die Gründer der Initiative „raum 13“, Marc Leßle und Anja Kolarcek (Foto ganz rechts) und ihre Mitstreiter wollen nicht nur das historische Erbe bewahren, sondern eine Verzahnung von Kunst und Stadtentwicklung und damit eine Perspektive für ein lebenswertes Stadtquartier mit unterschiedlichen Nutzungen schaffen. Sie nannten ihre Initiative etwas anspruchsvoll „Zentralwerk der Schönen Künste“. Mit Investitionen von Zeit und Geld wollen sie ein „Reallabor“ entwickeln, um mit alternativen Wohn- und Arbeitsmodellen zu experimentieren. Seit zwei Jahren gibt es auf dem Areal „Zukunftswerkstätten“ mit Architekten, Denkmalpflegern, Stadtplanern und Künstlern, um hier ein gesellschaftliches Zukunftsmodell zu entwickeln. So haben sie mit Hilfe von Architekten untersucht, wie unter Wahrung der historischen Substanz Wohnungen gebaut werden können sowie Ateliers, Start-ups, urbane Gärten und Forschungslabore für Klima, Mobilität und Kunst. „Es geht darum, hier real zu erforschen, wie wir als Gesellschaft in Zukunft leben wollen“, sagt Marc Leßle. Und letztlich geht es um den Konflikt Gemeinwohl versus Investorenlogik.
Das Gelände zwischen Deutz-Mülheimer Straße und Auenweg gehört verschiedenen Eigentümern. Hinter dem Verwaltungstrakt liegt ein Areal mit mehreren alten Fabrikhallen, das im Besitz der Landesgesellschaft NRW Urban ist. Der Eigentümer der ehemaligen KHD-Hauptverwaltung hatte angekündigt, seinen Besitz verkaufen zu wollen. Der Initiative „raum 13“ hat er zum 30. April 2020 gekündigt. Damit ist die Zukunft des Deutzer Zentralwerks der Schönen Künste in höchstem Maße gefährdet.
Im März 2020 startete der Rat der Stadt Köln einstimmig und parteiübergreifend eine Rettungsaktion. Die Stadt will sich das Planungsrecht für das Otto & Langen-Quartier nicht aus der Hand nehmen lassen. Mit einer eigens dafür geschaffenen Satzung sicherte sie sich das Vorkaufsrecht. Danach könnte das KHD-Gelände nicht zu Höchstpreisen an private Investoren verkauft werden, und der Erhalt der Industriedenkmäler wäre gesichert.
Trotz dieses positiven Signals ist die Gefahr für die Rettung des Quartiers noch nicht gebannt. Die Mühlen der Kölner Verwaltung mahlen langsam. Die Initiative „raum 13“ will trotz der Kündigung nicht aufgeben. Hoffen wir, dass sich in Zukunft nicht die alte Erfahrung bewahrheitet: Im Konflikt zwischen Kunst und Kommerz gewinnt allemal der Kommerz.
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