Erzähl doch mal …
Ich bin in aufgewachsen in Köln-Mülheim, in einem Lebensmittelladen.
Meine Großmutter hatte in den 1920iger Jahren einen ‚Tante-Emma-Laden‘ mit viel Geschäftssinn und Kundenfreundlichkeit betrieben. Mein Vater hat diesen Laden weiter ausgebaut; es war der erste Laden im Viertel, in dem man mit einem Körbchen durch das Geschäft gehen konnte. ‚Das Geschäft‘ hat meine Kindheit geprägt und unser Familienleben bestimmt.
Wenn einer Geburtstag hatte, gab es hinten in der Küche Kaffee und Kuchen, aber abwechselnd musste ein Familienmitglied im Laden bleiben, entweder an der Wursttheke oder an der Kasse.
Mein Bruder und ich haben immer mitgeholfen: als Kleinkinder haben wir die unteren Regale aufgefüllt, später lernten wir, die elektrische Kaffeemühle zu bedienen, und am Ende der Grundschulzeit konnten wir zuverlässig die Wurstschneidemaschine handhaben oder an der Kasse sitzen.
Als ich 10 Jahre alt war, habe ich mir zu Weihnachten ein Fahrrad gewünscht. Mein Vater ließ mich in dem Glauben, meinen Wunsch nicht erfüllen zu können: „Du hast gar keine Zeit zum Fahrradfahren. Ich brauche dich doch hier im Laden!“ Ich konnte das gar nicht glauben und habe während der ganzen Adventszeit meinem Vater auf Schritt und Tritt hinterher spioniert. Ich war überzeugt, dass er irgendwann doch beim Fahrradhändler vorbeigeht.
Zwei Tage vor Heiligabend sagte ich tief enttäuscht zu meiner Mutter: „Papa ist gerade zum Frisör gegangen. Das liegt auf dem Weg zum Fahrradladen, aber er hat sich kein Geld aus der Kasse genommen. Das war wohl die letzte Chance...“
Am Heiligabend, als der Laden fertig geputzt war, setzten wir uns feingemacht an den Tisch zum Abendessen. Bevor wir ins Wohnzimmer zur Bescherung gingen, schickte mein Vater mich in den Laden. Ich sollte ihm ein Päckchen Zigaretten holen. Und da stand ein blinkendes Fahrrad. Rot. Mit einer Dreigangschaltung. Ich war sprachlos vor lauter Glück. Dies war meine schönste Weihnacht als Kind.
Gerd