Pfarrnachrichten
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In Burgund wächst kein Burgunder mehr. Der Klimawandel hat dazu geführt, dass die Trauben, die die Region bekannt gemacht haben, nicht mehr wachsen. Die Bauern stellen sich um – denn das Ernten und Wachsen sollen nie aufhören. Der Weinbau soll bleiben – aber wie es war, geht es nicht weiter. Es ist für sie eine Überlebensfrage. 
 Was, wenn in der Kirche die Gemeinden nicht mehr gedeihen? Weil sich das Klima geändert hat? Und weil sie – ähnlich wie der Burgunder – nur unzureichende Antworten haben. 
 
Störrische Bauern in Burgund versammeln sich und sagen: Wir bauen weiter Burgunder an. Das hat Tradition, da können wir einfach nichts dran ändern. Das wäre doch beliebig. Modisch. Wer will das denn schon? Man muss wohl kein Unheilsprophet sein, um zu sehen: Das ist keine gute Idee. Diese Bauern werden schlicht nicht überleben. Besser ist doch die Idee, den Weinbau an sich zu erhalten in der Region. 
 
Bei uns Protestanten zeigt sich dieses Problem ganz akut. Nicht am Wein. Aber in der Substanz unserer Gemeinden. Wir verändern uns zu langsam, und die Gemeinden schrumpfen. Die Menschen, die sich einbringen, werden immer älter, und die Jungen interessieren sich wenig für das, was wir tun. Es gibt Ausnahmen, aber spätestens in zwei Generationen wird sich das Thema Kirche in der Breite erledigt haben, wenn sich nichts ändert. Mit 42 gehöre ich zu den mittelalten Pfarrpersonen in unserer Kirche – und ich muss mit ansehen, wie diese Kirche, die mir sehr am Herzen hängt, an vielen Stellen den Bach runtergeht. Weil sie sich nicht wandelt, weil die Tradition höher gehalten wird als die Menschen. Das kann ich den Leuten noch nicht einmal übelnehmen. Denn wer sich hier wohl fühlt, der will ja auch nichts ändern. Wer nun mal gern Burgunder trinkt, der kann sich schwer auf Shiraz umstellen. Und doch ist es notwendig. Denn Burgunder wird es nicht mehr geben.
 
Und darum ist es für uns als Kirchen so wichtig, über den Tellerrand zu blicken. Die gute Nachricht ist: Das tun wir schon. Gemeinsam. Konkret vor Ort. Noch zaghaft. Aber gut. In ökumenischen Initiativen. Zum Beispiel wenn wir gemeinsam mit den katholischen Schwestern und Brüdern überlegen, wie wir neue Wege gehen können. Wie wir Menschen, zum Beispiel, in der Trauer begleiten, wie wir Lebensfragen gemeinsam aufgreifen und zeitgemäß beantworten können. Und es gibt da sehr konkrete Pläne: für nächstes Jahr ist eine Themenwoche zur Trauer angedacht. Mit Konzerten, mit Diskussionen, mit Workshops, kleinen feinen Veranstaltungen. Nicht, weil wir als Kirche nur über Trauer reden könnten, nein, weil es unsere Kernkompetenz ist, Hoffnung zu vermitteln. 
 
Auch an anderen Orten wachsen wir zusammen: ganz am Anfang der Lebenssuche, in ökumenischen Schulgottesdiensten, bei Themenwochen in den Grundschulen, die ganz selbstverständlich von katholischen und evangelischen Theolog:innen gemeinsam gestaltet werden. Oder an Trinitatis. Auf der Wiese. Bei unseren ökumenischen Festgottesdiensten, auch mit unseren freikirchlichen Geschwistern zusammen. Es gibt zarte Pflänzchen des Zusammenwachsens, erste Ansätze, auf den Klimawandel in der Gesellschaft zu reagieren.
 
Und auch weit über unsere Region hinaus passiert das: Ein gutes Dutzend katholischer Geistlicher, Männer und Frauen aus dem Bistum Speyer, waren letzte Woche im Veedel, um sich über neue Wege der Gemeindebildung auszutauschen. Die Probleme waren erstaunlich ähnlich. Auf beiden Seiten des konfessionellen Äquators. So kamen sie zu uns, den Protestanten, und gemeinsam haben wir nach Antworten gesucht. Weil wir doch für denselben unterwegs sind. Arbeiter:innen sind im Weinberg des Herrn, wie unser Chef das mal formuliert hat. Vor zweitausend Jahren. Und der sitzt weder in Düsseldorf noch in Rom, der sitzt oben und – da bin ich sicher – freut sich, wenn wir gemeinsam Antworten auf den gesellschaftlichen Klimawandel suchen. Davon wünsche ich mir mehr. In Lebensfragen. Im Blick auf all die Menschen, die in unseren Gemeinden keine große Rolle spielen, weil sie aus anderen Milieus kommen. Die Kirchenfernen. Die Armen. Die Gutgestellten, die sich genauso Lebens- und Glaubensfragen stellen, bei uns aber keine Antwort bekommen. Sollten wir da nicht gemeinsam mehr suchen, statt ständig auf uns selbst zu schauen? 
 
Wenn ich mal träumen dürfte, von einer Weinlese in vielen Jahren, dann würde ich von einer gemeinsamen Initiative träumen. Von Christinnen und Christen, Pastor:innen oder Gemeindereferent:innen, angestellten Menschen, die vor Ort eine Initiative gründen, die nicht fragt nach Konfession, ja nicht einmal nach Taufe, die einfach mit den Menschen in ihrem Leben sucht nach Antworten auf Fragen, die wir alle in uns tragen. Die dann das Ihre daneben legen und gemeinsam Kirche sind. Nicht konfessionell. Sondern christlich. Ökumenisch. Die schneller auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren kann als wir je für uns in unseren behäbigen Apparaten. Denn was Neues kann ja viel agiler sein, weil es keine Räte und Ordinierten Personen im Hintergrund hat, die kontrollieren, ob das, was man sagt, denn protestantisch genug oder auf Linie ist (ich kann hier nur für meine Seite sprechen). Die mit den Menschen sucht, genährt mit Ressourcen aus beiden, ja vielleicht noch mehr Kirchen. Aufsuchend. Mülheimelnd. Und jung. Was kirchlich meist schon heißt: Unter vierzig. Das wär doch was, oder? Träumt wer mit mir mit? 
 
Denn was so wächst, das hat vielleicht auch dann Bestand, wenn es zu karg für Burgunder ist, zu trocken für neue Trauben. Weil diese Früchte nämlich ganz anders wachsen als die alten. Und doch so gut, ganz delikat und wunderschön anzuschauen sind. 
 
Text: Sebastian Baer-Henney, evangelischen Pfarrer in Mülheim. Gründete die Initiative beymeister mit und sehnt sich nach einer postkonfessionellen Kirche voller Menschen und mit gutem Kaffee.

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