Pfarrnachrichten
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Die Bibel, das Buch Qohelet (Prediger) 5,1 – Wo wohnt Gott? 
 
Wenn das nur so einfach wäre! Alle wissen, wo sie hingehören. Götter und Engel wohnen droben: sei es im Himmel oder im Olymp. Mensch und Getier leben drunten auf der Erde. Da siehe ein jedes Lebewesen zu, sich eine Behausung zu verschaffen! Wohnungen sind zuerst einmal Schutzräume und zum Überleben der Art unverzichtbar. Das gilt auch für die Spezies Mensch. Draußen toben die Orkane, und es schüttet kübelweise aus der Höhe. Drinnen gibt es einen Herd, eine warme Mahlzeit und vor allem ein Bett. Zur Wohnkultur gehört Sauberkeit. Keine Raubkatze schleppt das gerissene Tier in ihre Höhle. Draußen wird die Beute zerlegt und gefressen, drinnen gedöst und geschlafen. 
 
Die Götter oben, die Menschen unten: Da weiß doch jeder, wo er hingehört? Aber so einfach ist es eben nicht. Auch hier gilt der Grundsatz allen Strebens: Was ich nicht habe, zieht mich an. Wer nach unten gehört, den erfasst eine glühende Sehnsucht nach oben; wer leichten Herzens in den oberen Regionen wohnt, der verspürt ein unstillbares Verlangen nach unten. So kommt Bewegung in die Welt: die Götter und Engel zu den Menschen, die Menschen zur Sonne und am besten noch darüber hinaus zu den Göttern. Dieser permanente Wohnungswechsel macht alle nervös. Es gibt unzählige Motive für den angestrebten Wohnungstausch. Darüber erzählen die Mythen der Kulturen. Gibt es ein Motiv für den ewigen Wunsch nach Veränderung und Tapetenwechsel? Wie sollte es anders sein: Auch hier wird die Liebe zur Triebfeder des Handelns. Die Göttersöhne sind entzückt. Wann und wie auch immer sie die Menschentöchter entdeckt haben, ihre Schönheit erweckt Begehrlichkeiten. Der Drang nach unten steigert sich ins Unerträgliche. Da ist kein Halten mehr. Die Menschentöchter reagieren zwar im ersten Augenblick etwas verstört über den Besuch von oben, doch dann lassen sie sich ganz schnell ein auf das Spiel der vertauschten Welten ... Was der Mythos so unterhaltsam ausplaudert, entpuppt sich in der Wirklichkeit allerdings als eine Vergewaltigung. Die Affäre bleibt nicht folgenlos. Die Menschentöchter gebären das Geschlecht der Riesen. Der Mythos erzählt, wie die Gewalt zu den Menschen kam. Fortan bestimmt sie das Zusammenleben der Menschen: in ihren Beziehungen, in ihren Wohnungen, im öffentlichen Leben.
 
Von einem Wohnungswechsel mit Folgen erzählt uns die Bibel. Die Geschichte der Menschen beginnt nämlich mit einer „fristlosen Kündigung“. Dabei hatte alles doch so gut angefangen. Einer der ältesten Gottesnamen lautet „Baumeister“. Gott ist ein Architekt, der sein Handwerk gut gelernt hat. Kein Wunder, steht ihm doch „Frau Weisheit“ als Gehilfin zur Seite. Was da herauskommt, ist ein Meisterwerk: Die Welt – und Gott ist ihr Baumeister. Die Entstehung der Welt beginnt damit, dass ihr Konstrukteur zuerst einmal Ordnung schafft. Das „Wohnungschaos“ ist nicht die Erfindung fauler Menschenkinder. Chaos ist die Vorform der Schöpfung; es wird nicht besiegt, sondern zur Seite gedrängt. Und der auf diese Weise freigewordene Platz wird zum Lebensraum der Geschöpfe. Alles ist ein Geschenk: das Leben, der Lebensraum, das Wohnen in einer geordneten Welt: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (Genesis 1,31). Und was macht man, wenn alles gelungen ist? Man feiert ein Fest. Der siebte Tag ist kein langweiliger „Ruhetag“, sondern ein Festtag. Gott und seine Geschöpfe tanzen in einem endlosen Reigen durch den Garten Eden. 
 
Eden ist ein Garten, der als Wohnraum nicht nur für das Menschenpaar konzipiert ist. Hier ist für alle Platz! In Gottes Schöpfung sind die Hautfarben gemischt, da ist Vielfalt angesagt, auch in den Gattungen. Da gibt es ein Lebensrecht für Bienen, Lurche, Wale und für das „Geschmeiß“ (Fliege, Mücke, Wanze). Die Pointe ist zum Schreien: Am Anfang steht „die Wohngemeinschaft“, Zimmer frei für Schöpfer und Geschöpf. Es hätte so schön sein können in Eden ... Doch schon da gab es den Grundsatz allen Strebens: Was ich nicht habe, zieht mich an. Was ich nicht bin, will ich werden. Der Mensch wollte sein wie Gott. Das Geschöpf Mensch vergaß, dass alles ein Geschenk ist: das Leben, der Lebensraum, das Wohnen in einer geordneten Welt. Die „WG“ platzte, der Hausherr war sauer, und es folgte der Rausschmiss. In diesem Augenblick begann die menschliche Not: Wohnungssuche unter erschwerten Bedingungen. Das ist der Anfang der Geschichte Gottes mit den Menschen. 
 
Zum Leben ist Wasser unerlässlich. Weil das Wasser knapp ist im Orient, entstehen Verteilungskämpfe. Sie zwingen die Menschen zur ständigen Wanderschaft. Die Wohnkultur der Nomaden wird bestimmt durch einen reichen Viehbestand, denn die Herden sind Ressourcen des Überlebens: Fleisch, Fett und Fell. Die Herden brauchen Weiden. Weidewechsel bestimmt den Lebensrhythmus. Die Wurzeln des Osterfestes liegen in der Nomadenkultur. Der Weidewechsel um die erste Vollmondnacht des Frühjahrs markiert den Aufbruch zur neuen Weide, zum Aufbruch im Aufgrünen der Erde. 
 
Die Sesshaftwerdung war für Israel ein konfliktreicher Prozess. Der Boden des „Gelobten Landes“ war bereits vergeben. Es gehört zu den ungelösten Rätseln biblischer Geschichte, warum der Gott der Hebräer ein „Land von Milch und Honig überfließend“ verspricht, das seit Urzeiten schon vergeben war Ein Wohn- und Bleiberecht auf erbeutetem Land, dessen Bewohner und Vieh dem „Heiligen Bann“ anheim fielen: Tod den Männern und dem Vieh, Versklavung der Frauen und Kinder. Es war ein Wohnen auf Abruf. Zankapfel war immer das Wasser. 
 
Wem gehört der Boden? Noch bevor die Horde der Hebräer das Ziel ihrer vierzigjährigen Wüstenwanderung erreichte, war darüber schon entschieden worden. Der Boden gehört dem Pharao bzw. dem (Stadt)könig. Grund und Boden sind Krongut oder „Königsgärten“. Wer wohnen will, muss pachten. Die Hypothek lastet schwer auf den Schultern der Pächter. Wer der Abgabenpflicht auf Pacht, Ernte und Kopfsteuer nicht nachkommen kann, landet nicht nur in Schuldhaft, sondern verliert Haus und Hof. Nicht nur Wasserknappheit war existenzbedrohend, auch der Ausbruch von Epidemien. Dem betroffenen Clan wurde das Haus über dem Kopf abgerissen, das Vieh notgeschlachtet, Hab und Gut verbrannt. Wohnort des Aussätzigen wurde von jetzt auf gleich die Höhle der Verbannten außerhalb der Wohn- und Lebensgemeinschaft der Städter. Die Heilung der Aussätzigen war für die Zeitgenossen Jesu das Wunder aller Wunder.
 
Der Boden ist Krongut. Die Israeliten setzten dem Königsrecht noch eins drauf: Gott allein ist Eigentümer von Grund und Boden. Denn nur dank seiner Erwählung und Führung sind sie dahin gekommen, was sie als „gottverheißen“ endlich erobern und beziehen durften. Dieses Land ist ihnen anvertraut. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“ Und da der Glaube schwach ist, ist die Zahl der Niederlagen übermächtig. Kriege und Verbannung rufen immer wieder in Erinnerung: Es gibt kein ewiges Wohnrecht. Das Leben im Exil, das Wohnen in der Fremde wurde für Israel ein ewiges Motiv innerhalb seiner Geschichte.
 
Innerhalb dieses Wechsels von Vertreibung und Rückkehr gibt es allerdings ein Vermächtnis. Gott ist einzig, das Land seine Gabe und das gewährte Wohnrecht kann niemand veräußern. Alle fünfzig Jahre feierten die Israeliten ihr „Jobeljahr“. Dann ist die Schuldhaft beendet, offene Rechnungen verfallen, verpfändeter Boden kehrt zurück zu seinem Eigentümer: Die ursprünglichen Besitzverhältnisse werden wiederhergestellt. Kein Mann werde versklavt, keine Frau zur Prostitution gezwungen und kein Kind verkauft! Der Eigentümer von Grund und Boden ist Gott. Dieser duldet nicht die Verpfändung seiner Pächter, die mit ihren Clans auf seiner Scholle „gasten“. Das Wohnrecht ist unkündbar, die soziale Gesetzgebung Israels eine Erinnerung im kollektiven Gedächtnis der Menschheit: Du, Mensch, bist nur Gast auf Erden!
 
Der Versuch ist uralt. Irgendwo, so lautet der Wunsch, muss es doch einen Ort auf Erden geben, wo sich die göttliche Gegenwart materialisiert. Die Hardliner unter den Frommen platzierten das „höhere Wesen“ auf Berggipfel oder in Waldlichtungen und raunten von „heiligen Bezirken“. Folgenreicher war die Entwicklung von sogenannten „Gotteshäusern“. Eine abenteuerliche Vorstellung: Die Gottheit wird regelrecht „eingesperrt“. Theologen setzten sie in Hausarrest und nannten diese Orte Tempel, Synagoge, Kirche, Kathedrale … Ein Schelm, wer jetzt Böses denkt! Ist die Gottheit erst mal dingfest gemacht, dann möchten ihre Verehrer sie auch „besuchen“ dürfen. Das war die Geburtsstunde des Wallfahrtstourismus, der bis auf den heutigen Tag anhält. Am Zielort der Pilgerschaft geht es dann sehr weltlich zu. Da wird Kasse gemacht trotz miesem Essen, schmuddeliger Unterkunft und auch Ablass gegen Kasse. 
 
Gott wohnt weder im Himmel noch auf Erden. Jesus aus Nazareth verlor jede Form von Sanftmut und Selbstbeherrschung, als er gegen den frommen Tourismus am Jerusalemer Tempel zu Felde zog. Es soll ja Menschen geben, deren Gefühle in Wallung geraten, wenn sie nach langer Abwesenheit in die Domstadt zurückkehren. Beim Anblick der Domtürme werden sie dann sentimental. Dass der „Herrjott“ausgerechnet dieses Bauwerk favorisiere, um dort seine Gegenwart logieren zu lassen, ist Ausdruck rheinischer Großmannssucht. Gott wohnt bei den Lebenden und nicht bei den Toten! Was da sonntags um 10 abgeht, hat einen hohen Unterhaltungswert …
 
Gott wohnt nirgendwo, um jetzt endlich die Katze aus dem Sack zu lassen. Und wenn Sie das begründet wissen wollen, dann schlagen Sie nach im Buch der Bücher, d. h. der Bibel. Und dort empfehle ich Ihnen die Lektüre des 18. Kapitels aus dem 1. Buch Mose (auch Genesis genannt). Dort erfahren Sie, wie der Ewige seinen Freund Abraham aufsucht. Die Begegnung findet statt in einem Eichenhain zur Mittagshitze; der Erzvater Abraham döst am Zelteingang vor sich hin, als er einen Unbekannten auf sich zukommen sieht. Die Spannung steigert sich wie in einem guten Krimi. Der große Unbekannte: Ist er Freund oder Feind? Die Spannung schlägt um in Erleichterung. Was sich jetzt zwischen den beiden Protagonisten abspielt, ist die wunderbare Inszenierung orientalischer Gastfreundschaft. Wer sie auch nur ein einziges Mal als Mitteleuropäer erleben durfte, weiß fortan, wo Gott wohnt: weder in der Höhe, noch in der Tiefe. Gott wohnt im „Zwischen“, in der Begegnung, in der freundlichen Aufnahme des Fremden, in jedem „Willkommen“, in jedem freundlichem Lächeln, wenn man Ihnen die Tür öffnet und Sie bittet einzutreten. So und nicht anders wohnt Gott unter den Menschen.
 
Text: Christian Weinhag, Pfr.
Foto: Kertu, ( Quelle: stock.adobe.com)


 

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