Pfarrnachrichten
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In diesem Jahr 2020 / 21 des grassierenden Coronavirus wurde auf eklatante Weise offenbar, welchen Stellenwert Kultur und Bildung in Politik und Gesellschaft haben: einen sehr geringen.
 
Beginnen wir mit der Basis, den Schulen. In diesem monatelang anhaltenden Lockdown, in dem Schulen ohne Konzept mal geöffnet, dann wieder geschlossen wurden, selbstverständlich nach Bundesländern, ja nach Kommunen unterschiedlich, konnte von einem geregelten Unterricht keine Rede sein. Offensichtlich maß die Politik den Schulen keine erhöhte Aufmerksamkeit zu. Die Mängel in der Digitalisierung traten auf eine erschreckende Weise zutage. Die technische Ausrüstung von Klassenräumen – Luftfiltergeräte, Tablets, W-Lan, Schnelltests – scheiterte an finanziellen Mitteln, einem allgemeinen Desinteresse und/oder einer überbordenden Bürokratie. Kinder langweilten sich zu Hause und lernten nichts. Viele der jetzigen Zweit- und Drittklässler können nicht richtig lesen und schreiben. Lernlücken klaffen immer größer. Das sind Defizite, die sich nur in Jahren aufholen lassen. Den isoliert zu Hause sitzenden Kindern wird nicht nur die Gegenwart genommen, sondern auch die Zukunft verbaut. Sie mussten wochen- und monatelang ohne soziale Kontakte auskommen. Das legt ein systemisches Problem offen. Im Sommer des vergangenen Jahres, als die Ansteckungszahlen fast gegen Null tendierten, hatte man es schlicht verschlafen, die Schulen besser auszustatten. Die Förderung von Industrie und Unternehmen oder die Ermöglichung von Fußballspielen schien den Politikern allemal wichtiger. Kinder haben halt keine mächtige Lobby und zahlen auch keine Bestechungsgelder.
 
Im Kulturbereich, in dem von 1,8 Millionen Beschäftigten mehr als eine halbe Million schlecht bezahlte Mini- und Soloselbständige sind, ist Covid 19 eine Katastrophe. Opern, Theater, Museen und Konzertsäle sind geschlossen, Bibliotheken und Buchhandlungen gar nicht oder nur eingeschränkt zugänglich. Die Liste der abgesagten Festspiele, Musik- und Kulturveranstaltungen ist endlos. Laut einer aktuellen Prognos-Studie beliefen sich die Umsatzverluste 2020 auf 22,4 Milliarden Euro, ein Minus von 13 % bezogen auf 2019. Der Deutsche Kulturrat stellte den größten Rückgang seit 2009 fest. In ihrer Umsatzentwicklung wurde die Kunstszene um mindestens 14 Jahre zurückgeworfen. Ein staatliches Kulturprogramm hat im Juni 2020 eine Milliarde und in diesem Februar eine zweite Milliarde Euro bereitgestellt. Das klingt nach viel Geld, aber die deutsche Kreativ- und Kulturwirtschaft hat im Jahr 2019 üppige 170 Milliarden Umsatz gemacht, mehr als die chemische Industrie. Zwei Milliarden Euro sind da vergleichsweise wenig, zumal wenn der Umsatz der darstellenden Künste um 85 % und der des Musiksektors um 54 % eingebrochen ist. Die Filmwirtschaft verlor 48 %. Freischaffende Künstler sind gezwungen, als Sprechstundenhilfen, Verkäufer oder Kassierer zu arbeiten, um über die Runden zu kommen.
 
Der Lockdown verhindert den lebendigen Kontakt, der lebenswichtig sowohl für Künstler als auch für Kunstgenießer ist. Kreative Arbeit an Musik, Texten und neuen Formaten kann zum großen Teil nicht ohne gegenseitigen Austausch funktionieren. Im persönlichen Zusammensein, in der Diskussion und Reibung mit anderen findet der Kunstschaffende Inspiration und Anregung. Diese informelle Kommunikation kann derzeit nicht stattfinden und ist digital nicht ersetzbar. Das gilt auch für den Kunstgenuss. Das „Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ (Walter Benjamin) von Kunstwerken ermöglicht den Kunstliebhabern zwar eine gewisse Teilhabe an der Kultur. Opern und Konzerte sind im Radio und auf CDs zugänglich, Bücherlesungen und virtuelle Museumsbesuche im Internet, aber das befriedigt nicht das Bedürfnis nach Begegnung und Austausch mit Gleichgesinnten.
 
Die Kultureinrichtungen wurden als erste geschlossen und werden wahrscheinlich als letzte wieder geöffnet, obwohl die Ansteckungsgefahr anderswo viel größer ist als in Konzertsälen und Museen. Das lässt sich leider mit der Bildungsferne vieler Politiker erklären. Regierungschefs mancher Bundesländer werfen Museen, Theater und andere Kulturbetriebe „immer wieder in gemeinsame Versorgungstöpfe mit Spaßbädern und Bordellen“ (DER SPIEGEL, 27.02.2021).
 
Auch ohne die finanziellen Probleme kämpft die gesamte Kulturbranche darum, in ihrer Bedeutung für das gesellschaftliche Leben angemessen gewürdigt zu werden. Die Kultur fehlt vielen Menschen, die Sehnsucht nach Bühnen und Musik ist groß. Ob sich der Kunst- und Kultursektor nach dem (hoffentlichen) Abflauen der Pandemie wieder erholen wird, ist ungewiss. In den kommenden Jahren müssen massive Haushaltslöcher gestopft werden. Der erste Sparkandidat ist erfahrungsgemäß die Kultur.
 
Text: Lisa Weyand
Foto: dieterkowallski (Quelle: photocase.de)


 

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