ALTERNATIVES PFLASTER
Im Gespräch mit Familie Mersmann – Leonie & Chris, Antonia (5) und Olivia (2)
Wie kam es dazu, dass sich ihre Familie Köln-Mülheim als Wohnort ausgesucht hat? Köln-Mülheim zählt bei vielen nicht gerade als Vorzeigestadtteil Kölns.
Frau Mersmann: Das kam dadurch, dass ich mich verliebt habe, in meinen jetzigen Mann. Und dann bin ich direkt geblieben, und außerdem hat es mir hier nach und nach auch gut gefallen.
Wie war der erste Eindruck ihrer neuen Wohnumgebung?
Frau Mersmann: Also, als ich das allererste Mal nach Köln-Mülheim gekommen bin, um eine Freundin zu besuchen, da hatte ich keinen guten Eindruck. Angekommen bin ich am Mülheimer Bahnhof und, nun ja, die Frankfurter Straße fand ich schon etwas gewöhnungsbedürftig, auch den Weg über den Wiener Platz. Aber auf dem Weg zum Rhein hat sich der Blick dann geöffnet, und es wurde immer schöner.
Wie lange lebt Ihre Familie lebt jetzt in Mülheim. Was hat sich in dieser Zeit im Stadtteil verändert? Herr Mersmann: Ich wohne jetzt seit 14 Jahren in Mülheim. Nach fünf Jahren habe ich meine Frau hierher gelotst. Seit neun Jahren wohnen wir richtig schön am Rhein, und seit fünf Jahren leben wir als Familie hier. Verändert hat sich vor allem das eigene Leben. Grundsätzlich ist Mülheim noch genauso dreckig wie vorher, nur hat sich der Blick durch die Veränderung der Lebensumstände geändert. Als Familie haben wir uns in Mülheim immer mehr verwurzelt und darüber haben wir angefangen, die Ecken, die für die Familien untauglich erscheinen, auszublenden und statt dessen die schönen Seiten wahr zu nehmen. Dies besonders dank der Vernetzung über die Menschen, die in ähnlicher Lebenssituation sind und die gleichen Interessen teilen. Eigentlich hat sich für uns dies erst über die Kinder erschlossen. Auch wenn wir vorher schon gut vernetzt waren – wir sind ja aus der Artistenszene – erleben wir durch die Kinder eine ganz neue Ebene und Verbindlichkeit. Auch das Gemeindeleben haben wir dadurch kennengelernt.
Frau Mersmann: Wir nehmen eben die schönen Orte, wie das Rheinufer und die Spielplätze, dadurch wahr.
Wie sehen sie Ihre soziale Integration? Sportverein, Kirchengemeinde, Nachbarschaft, Spielplatz, Schule und KiTa sind ja typische Bereiche, in denen sich Sozialkontakte ergeben.
Frau Mersmann: Durch die Kinder haben wir ganz, ganz viele nette Leute kennen gelernt – eben zunächst auf den Spielplätzen und dann auch über die KiTa. Der MTV mit dem Kinderturnen war eine weitere Anlaufstelle. Dies alles hat maßgeblich dazu geführt, dass wir gut integriert sind. Wir sind in der WIKU Mülheim aktiv, betreuen dort wöchentlich eine Bastel-AG und organisieren seit zwei Jahren einen karnevalistischen Nachmittag für Kinder im Liebfrauenhaus.
Herr Mersmann: Ein Grund, warum wir uns in Mülheim so wohlfühlen, ist auch der gute Kontakt in der direkten Nachbarschaft. Wir hatten das Glück, eine Wohnung in einer Umgebung mit Siedlungscharakter zu finden.
Gibt es einen Ort in Mülheim, an dem sie sich besonders gerne aufhalten?
Herr Mersmann: Grundsätzlich alles am Rhein. Besonders hierbei der Rheinpark. Alles hinter dem Katzenbuckel (Anm. d. Red.: Fußgängerbrücke am nördlichen Ende des Rheinparks), wo Natur noch sichtbar ist.
Frau Mersmann: Es gibt keinen schöneren Ort, an dem man Lagerfeuer machen, Steine in den Fluss werfen kann und doch so nahe an der Stadt wohnt – es ist wirklich wunderschön.
Herr Mersmann: Im Prinzip alles am Rhein zwischen Rheinpark im Süden und dem Stammheimer Schlosspark im Norden; der ist natürlich auch ein toller Ort.
Ihre beiden Kinder besuchen eine katholische KiTa. Warum eine katholische KiTa, und wie erleben Sie die Kirchengemeinde darüber hinaus?
Herr Mersmann: Ich bin selbst katholisch aufgewachsen, habe mich in der Gemeinde sozialisiert, in der ich aufgewachsen bin, mit Jugendarbeit, Pfarrgemeinderat und was eben alles so dazu gehört. Mit 25 und meiner Orientierung nach Köln hat sich das durch neue Lebensumstände geändert. Das Gefühl, sich in einer Gemeinde aufgehoben zu fühlen, kommt jetzt allerdings wieder zurück, auch durch die Kinder.
Frau Mersmann: Mir sind die Werte wichtig, die wir auch unseren Kindern vermitteln wollen. Wir waren gerade wieder beim Erntedankfest, welches von und mit der KiTa in der Kirche gefeiert wurde. Das war einfach wunderschön. Zu erleben, wie der Wert von Dankbarkeit zelebriert und die Aufmerksamkeit dahin gelenkt wurde, dankbar für das Glück des Lebens und Erlebens zu sein.
Sagt Ihnen der Begriff „Kirche im Stadtteil“ etwas, bzw. was verbinden Sie damit?
Herr Mersmann: Ja, das ist für mich tatsächlich neu, ich bin eben eher dörflich aufgewachsen. Da war das relativ einfach, es gab eben nur die Kirche und drumherum nichts anderes. Hier muss die Kirche konkurrieren mit sehr vielen anderen Institutionen. Ganz im Sinne der Ökumene unterstützen wir zum Beispiel auch die beymeister (Anm. d. Red.: Projekt der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein) und haben Teil an dem, was die so engagiert nach vorne bringen. Das finde ich sehr schön, wo gelebter Glaube ins zivile Leben rückt.
Frau Mersmann: Schön ist auch das Familienzentrum, das übergreifend ein Angebot an vielen Stellen bereithält, das Familien wahrnehmen können und so die Gemeinschaft im Stadtteil fördert.
Herr Mersmann: Wir sind auch absolute Gottestrachtfans, auch als wir noch nicht involviert waren, waren wir schon immer begeistert von diesen Klängen, die uns auf den Balkon lockten. Abends fährt das Disco-Schiff vorbei und morgens ist dann plötzlich der Gottesdienst auf dem Rhein. Es ist schön, dass der Mut dazu da ist, sich auch in einem solch heterogenen Stadtteil herauszutrauen und zu zeigen: „Hey, wir sind da!”
Gibt es eine Begebenheit, an die Sie sich in ihrer bisherigen Zeit in Mülheim besonders gerne erinnern?
Herr Mersmann: Es sind vor allem die wiederkehrenden Gelegenheiten bei denen wir spüren, dass hier gemeinschaftliches Leben ist. So zum Beispiel beim Geisterzug, der hier mal stattfand. Nach dem Motto: Ich bin hier. Man muss nicht weg, sondern alle sind da. Oder Birlikte war auch so ein Ding, das vermittelt hat: „Wow, ich bin hier und ich bin stolz ein Mülheimer zu sein”. Und die Gottestracht, die ist es eben auch.
Frau Mersmann: Die Mülheimer Nacht, die zeigt, welche Vielfalt an Künstlern hier lebt und sich organisiert. Es ist so vielfältig, und das ist auch etwas, was den Charme von Mülheim ausmacht.
Was erwarten sie für die Zukunft, wenn sie dabei an Mülheim denken?
Herr Mersmann: Ich glaube, Mülheim wird weiterhin so schön bunt bleiben. Der Charme wird sicher etwas leiden, wenn man bedenkt, dass hier künftig, durch die Bebauung zwischen Mülheim und Deutz, sehr viel mehr Menschen leben werden. Wir dürfen gespannt sein, wie das Verkehrskonzept dem gerecht werden wird, vor allem, wenn man den Schwerverkehr, der heute schon durch Mülheim rollt, betrachtet. Mehr Menschen bedeutet wohl auch mehr Autos, und es ist spannend zu sehen, was da mit den heute noch gemütlichen Ecken passiert und wie sich Mülheim da weiterentwickelt. Ich hoffe auf jeden Fall, dass es so bunt bleibt.
Frau Mersmann: Wir wollen auf jeden Fall hier bleiben, mit unseren glücklichen Kindern und der tollen KiTa, in die sie gehen, und den netten Menschen, die hier wohnen. Wir sind sicher aufgefordert, mit zu gestalten. Dann werden wir sehen, was uns erwartet, es sind sicher große Herausforderungen.
Fotonachweis: Silke Grimm